The 2nd try

Chapter 11: The 17th

Übersetzung: moenoel


"Sehr viel mehr als erwartet ist entgegen unserer Planung verlaufen. Die momentane Situation unterscheidet sich signifikant von dem, was wir eigentlich angestrebt hatten."

"Das mag so sein, aber nicht alles davon zu unseren Ungunsten. Wir können die Zeremonie noch immer einleiten, sobald der letzte Engel sein Schicksal erfüllt hat."

"Aber was ist mit Ikari?"

"Wir werden unsere Trumpfkarte zu ihm schicken, trotz den Abweichungen im Szenario."

"Er mag ein Verräter sein, aber er ist kein Narr. Er wird misstrauisch werden, wenn wir ihn ohne einen triftigen Grund schicken."

"Er würde schon allein aus dem Grunde misstrauisch werden, dass es unser Wunsch ist. Aber auch wenn es so sein wird, wird er dennoch akzeptieren. Er ist sich sicher, dass sein Gott nicht versagen wird. Wir werden sehen, welche Bestie am Ende noch steht. Egal wie es ausgeht, es wird zu unserem Vorteil sein."

"So soll es sein", stimmten die restlichen gesichtslosen Stimmen zu, bevor ihre Monolith-Avatare in der Dunkelheit verschwanden.

"So soll es sein", wiederholte Lorenz Kiel leise zu sich selbst, seine Stimme senkend. Sein alternder Körper fühlte sich erschöpft an, während er langsam vor sich hin verrottete. Er wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, bis die kybernetischen Implantate das Unausweichliche nicht länger hinauszögern konnten. Er hatte nur noch diese eine Chance und er würde nicht einen einzelnen Mann zwischen ihm und seiner Erlösung stehen lassen. "Ikari... selbst wenn du mir im Leben niemals dienen wirst... so diene mir doch mit deinem Tod..."



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"Ein Fifth?"

Die Neuigkeiten hatten jeden überrascht und Makoto Hyuga war keine Ausnahme. Ein allgemeines Keuchen war durch den Briefing-Raum gegangen, als Sub-Commander Fuyutsuki angekündigt hatte, dass in nur zwei Tagen ein neuer Pilot eintreffen würde.

"Aber wir haben noch keinen Bericht vom Marduk-Institut erhalten", protestierte Maya, "Wie sollen wir Simulationen für ihn vorbereiten, ohne die nötigen Daten?"

"Das Komitee hat eine gewisse Vorliebe für diesen Kandidaten und...", Fuyutsuki zog seine Stirn kaum merkbar in Falten, "hat ein paar Dinge in die Wege geleitet, um ihn so schnell wie möglich zu ernennen. Der Marduk-Bericht wird schon bald verfügbar sein – aber wenn ich Sie wäre, würde ich mich trotzdem darauf vorbereiten die nötigen Tests selbst durchzuführen."

Ein leises Knurren kam aus der Ecke, in der Dr. Akagi saß. Missmutig, wie meistens seit dem letzten Engel. Ihre ausgedrückte Unzufriedenheit war zu verstehen und das nicht nur, weil ihre neue Rolle in dieser Runde nicht mehr war, als die der leitende Administratorin des MAGI-Systems. So ziemlich jeder in diesem Raum wusste, dass dies bedeutete, dass wenn er überhaupt irgendwann kommen würde, der Bericht stark zensiert wäre und die meisten, wenn nicht sogar alle wichtigen Informationen über diesen Jungen fehlen würden.

Fuyutsuki räusperte sich. "Wie auch immer, der Pilot wird übermorgen eintreffen. Ich erwarte von Ihnen allen, dass Sie ihr bestes tun, um ihm NERVs... Gastfreundschaft zu zeigen", endete er, ein seltenes verspieltes Lächeln begleitete die letzten Worte, bevor er den letzten Befehl gab. "Wegtreten."

Die meisten Anwesenden erhoben sich und bewegten sich auf den Ausgang zu, wie es nach so einem Treffen üblich war, aber das typische Gemurmel blieb aus, da jeder nach dieser Ankündigung in Gedanken versunken zu sein schien.

"Selbst wenn wir Rei nicht mitzählen haben wir schon mehr Piloten als EVAs", murmelte Misato, wie zu sich selbst. "Wieso brauchen wir ein Fifth Children?"

Doch Makoto hörte es gut genug. Und er verstand die unausgesprochene Bitte zwischen den Worten. Es schien als hätte er mal wieder ein paar Überstunden vor sich.



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"Jetzt lächelt doch mal!", verlangte Kensuke und hielt den Anwesenden dabei die Kamera unter die Nasen. "Immerhin ist es für eine Weile das letzte Mal, dass wir zusammen sind!"

Wären ihre Manieren nicht gewesen, hätte Hikari ihn für seinen übertriebenen Enthusiasmus geschlagen, den bei diesem traurigen Ereignis scheinbar niemand wirklich mit ihm teilen konnte. Er, sie selbst, Touji, wie auch Asuka und Shinji hatten sich ein letztes Mal versammelt, um sich zu verabschieden. Sie und Kensuke wurden aus der Stadt evakuiert, die nach dem letzten Kampf zu starke Schäden davongetragen hatte. Die Piloten jedoch, Touji auf Standby eingeschlossen, mussten natürlich bleiben, falls es zu einem weiteren Angriff kam.

Nun standen sie dort, vor ihrem Zuhause und – zumindest die meisten von ihnen – schweigend, bei dieser deprimierenden Stimmung. Hinter sich konnte sie ihren Vater hören, wie er die letzten Vorbereitungen traf, das Gepäck, das nicht mehr in den Kofferraum gepasst hatte, auf dem Dach des Wagens befestigend. Ihre Schwestern hatten sich bereits auf ihren Sitzen festgeschnallt, darauf wartend, dass die Fahrt los ging. PenPen, den Shinji und Asuka mitgebracht hatten, sollte mit ihnen in Sicherheit gehen und war momentan ein kuscheliger Spielgefährte auf Nozomis Schoß.

"Kommt schon Leute", beschwerte Kensuke sich, seine Kamera senkend. "Es ist ja nicht so, dass wir für alle Ewigkeit verschwinden. Wir gehen nur für eine Weile rüber nach Odawara."

Hikari stand kurz davor ihn wegen seiner Unsensibilität anzufahren, als sie etwas bemerkte, was es für sie schwer machte nicht laut aufzukreischen. Langsam, wie von allein, fanden sich die Hände von Shinji Ikari und Asuka Langley Soryu und verflochten sich ineinander.

"I-ihr habt endlich...?!", stotterte sie, den lang erwarteten Anblick anstrahlend.

Das angesprochene Paar blinzelte überrascht und blickte auf ihre ineinander verschränkten Hände, als hätten sie den Griff nicht einmal bemerkt.

"Ähm..."

"Naja..."

Während beide Gesichter einen leichten Rotton annahmen, stotterten sie zusammenhangslos vor sich hin und blickten überall hin, außer auf den anderen. Aber ihr Lächeln und nicht zu vergessen die Tatsache, dass sie nicht losließen, waren für sie Beweis genug, dass sie recht hatte.

Und nicht nur für sie. "WA-? Ihr beide?", kreischte Kensuke, durch den Schock beinahe die Kamera fallen lassend. "Ihr meint sie hatte die ganze Zeit über recht?", fügte er hinzu, auf Hikari zeigend.

"Naja, sie hat ein gewisses Talent solche Dinge zu sehen", erklärte Touji verlegen.

Hikari begann auf das Kompliment hin zu erröten, aber die Farbe in ihrem Gesicht wandelte sich schnell zu Zornesröte, als die neckische Stimme ihrer großen Schwester durch die Luft schallte. "Schade nur, dass es nicht bei ihr selbst funktioniert!"

"SCHH!", zischte das brünette Mädchen, als sie herumfuhr.

"Jetzt fang schon an mit deinem Freund rumzuknutschen, damit wir los können!"

Sich dazu zwingend Kodamas erniedrigende Bemerkung zu ignorieren, wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Paar zu.

"Oh, ich freue mich ja so sehr für euch beide!", rief sie, freudig in die Hände klatschend. "Wann ist es passiert? Du hättest es mir gleich sagen sollen! Habt ihr euch schon geküsst?"

"Naja..."

"Ähm..."

"Bitte küsst euch jetzt!", flehte Hikari, unfähig dem Drang zu wiederstehen, der Manifestation ihrer Liebe beizuwohnen. "Ich weiß, dass es unhöflich ist, aber bitte. Nur ein Mal. Ich möchte es sehen, bevor ich gehe!"

Sie sahen sich verlegen an, Asuka biss sich sogar mit einem scheuen Grinsen auf die Lippe, als sie sich zögerlich umdrehten, ihre Gesichter sich ruckartig einander näherten, bis ihre Lippen sich in einem flüchtigen Kuss trafen, um sich danach sogleich wieder voneinander zu trennen.

Hikari war nicht im Geringsten enttäuscht, dass es kein leidenschaftlicher, filmähnlicher Kuss war, eher das Gegenteil. Sie war überglücklich über die niedliche Darstellung des neugefundenen Paares.

Ein lautes Hupen ließ alle zusammenzucken und ihre Aufmerksamkeit dem Auto zuwenden, wo ihr Vater gerade den Fahrersitz eingenommen hatte. "Würdest du dich bitte beeilen, Hikari? Wir haben noch einen langen Tag vor uns und ich würde den erwarteten Stau gerne vermeiden!"

"Nur einen Moment!", rief sie zurück, ihr Herz rasend, als sie sich auf die Unterlippe biss. Sie konnte es nicht länger zurückhalten. Wenn Asuka und Shinji es konnten, warum sie nicht auch?

"Touji!", rief sie, sich dem Jungen entgegenwerfend, ihn überraschend, als sie seinen Kopf ein Stückchen herunterzog, während sie auf Zehenspitzen stand. Und sogar noch mehr, als sie ihm einen schnellen Kuss auf seine Wange gab. "Pass auf dich auf, okay?"

"Si-sicher...", murmelte der verdutzte Junge, als er endlich seine Stimme wiedergefunden hatte, nachdem Hikari losgelassen hatte.

Rückwärts gehend, konnte sie nicht anders, trotz ihrer brennenden Wangen, als stolz und glücklich zu lächeln, als er gedankenverloren die Stelle berührte, die ihre Lippen berührt hatten. "Dann, auf Wiedersehen..."

"Si-sicher..."

"Wir... wir werden uns wiedersehen, richtig? Sobald das hier...", sie machte eine Pause, überrascht, als ihr Rücken plötzlich gegen das Auto stieß, "sobald das hier vorbei ist?"

Bevor Touji die Chance hatte fortzufahren, wie eine kaputte Schallplatte, schoss Asukas Hand vor seinen Mund. "Mach dir keine Sorgen", antwortete sie für ihn. "Du passt auf unser Haustier auf und wir auf deins!"

Hikari würde den Witz erst eine ganze Weile später begreifen, ihr Verstand immer noch in Aufruhr, als sie versuchte die Tür zu öffnen, ohne den Blickkontakt zu ihren... Freunden zu unterbrechen.

Gerade noch rechtzeitig erinnerte sie sich daran aus dem Fenster zu winken, als ihr Vater den Motor startete. "Passt alle gut auf euch auf!"


*********


Shinjis Hand war auch auf dem Nachhauseweg noch immer mit der von Asuka verschränkt. Und nicht nur der liebevolle Kontakt wurde geschätzt, sondern auch das Gelächter über den weitaus fröhlicher als erwarteten Abschied, das sie noch immer begleitete.

"Hätten wir nicht besser sicherstellen sollen, dass Touji endlich nach Hause geht?", kicherte Shinji. "Als wir gegangen sind, hatte er sich noch nicht um einen Zentimeter bewegt."

"Ja", stimmte Asuka ein. "Er hat dem Auto nachgestarrt wie ein ausgesetzter Welpe, sogar nachdem es schon lange außer Sicht war. Er hat es nicht einmal mitbekommen, als Kensuke sich verabschiedet hat."

"Armer Kensuke, hoffentlich fühlt er sich nicht ausgeschlossen."

"Ah, ich glaube nicht, dass ihn das interessiert. Oder denkst du im Ernst er würde aufhören mit uns rumzuhängen, selbst wenn wir Pärchen... naja 'rumknutschen' wollen", sagte sie grinsend, während sie sich zu ihm herüber lehnte und ihre Lippen über seine Wange streifen ließ.

"Oh", seufzte Shinji in übertriebenem Maße. "Nein, vermutlich nicht."

"Es war einfach zu komisch, als Hikari uns darum bat uns zu küssen", brachte Asuka das Thema erneut auf. "Ich musste mir auf die Lippe beißen, um nicht auf der Stelle loszulachen."

"Ich weiß, ich konnte mich auch kaum zurückhalten." Sein Lächeln wankte ein wenig, als er sie ansah, ihre Hand leicht drückend. "Ich glaube das haben wir wirklich gebraucht. Zumindest ein wenig Ablenkung von den ganzen Schwierigkeiten in letzter Zeit – und all dem, was noch vor uns liegt..."



****************



Die Dose auf dem Tisch war noch immer ungeöffnet. Es war kein Test ihrer Selbstdisziplin von Misato, sie saß einfach nur davor. Sie sah die Dose nicht einmal, obwohl sie sie direkt anstarrte. Während ihre Augen auf das Bier gerichtet waren, war es ihr Geist nicht.

Ein Seufzen entwich ihr.

Sie war nach Hause geeilt sobald sie konnte und war am Ende lange bevor ihre "Schützlinge" von der Verabschiedung ihrer Freunde zurückgekehrt waren eingetroffen.

Dass sie sich vor Shinjis Reaktion auf die Nachricht von einem neuen Piloten gefürchtet hatte, sogar bevor sie wusste, dass es einer seine Freunde sein würde, hatte die Situation nur verschlimmert, als das Fourth ausgewählt worden war und hatte es beinahe in einer Katastrophe enden lassen. Selbst nachdem alles gut verlaufen war und sie erfahren hatte, dass Shinji es die ganze Zeit über gewusst hatte, ließen sie die Schuldgefühle nicht los, die sie hatte, weil sie unfähig gewesen war ihm die Wahrheit zu sagen. Sie hatte zu viel Angst vor der Konfrontation gehabt, zu viel Angst davor diejenige zu sein, die ihn noch mehr verletzte.

Es würde nicht noch einmal geschehen. Sie sagte sich selbst gerne, dass es nun leichter sei, da sie wusste, dass er ein stärkerer Mann war und bereits deutlich Schlimmeres erlebt hatte. Aber als sie hörte, wie die Haustür geöffnet wurde und sie mit einer offensichtlich fröhlichen Laune hereinkamen, wankte ihre Entschlossenheit. Und sogar noch stärker, als sie die Küche erreichten und sie sahen. Ihr Lachen verstummte auf der Stelle.

"Ist irgendwas nicht in Ordnung, Misato?", fragte Shinji besorgt.

"Nein, nicht wirklich, aber..." Wieder einmal seufzte sie, aufstehend um sich ihnen gegenüberzustellen. "Ich muss euch etwas sagen. Das sollte eigentlich vertraulich sein – aus welchen Gründen auch immer, weil selbst wenn ihr es noch nicht wisst, werdet ihr es wohl spätestens morgen sowieso erfahren..." Sie atmete tief ein. "Das Fifth Children wurde ausgewählt und wird in den nächsten 48 Stunden eintreffen."

"Kaworu?" Shinjis Kopf fuhr hoch, seine Augen weiteten sich, als er sie geschockt anstarrte und jede Farbe aus seinem Gesicht wich. Sichtlich besorgt, war Asuka sofort bei ihm, um ihn zu unterstützen, ihre linke Hand seine Brust haltend, während sie ihm mit der rechten beruhigend über den Rücken strich.

"Also nehme ich an ihr kennt ihn?", schloss Misato, leicht das Gesicht verziehend, weil sie das Thema angesprochen hatte. Aber es war besser so.

Da Shinji noch nicht in der Lage war, um zu antworten, war es Asuka, die zuerst für sie sprach, den Kopf schüttelnd. "Ich nicht. Ich war..." Sie presste ihre Augenlieder zusammen, offensichtlich eine unangenehme Erinnerung unterdrückend, "... nicht ganz bei mir... zu der Zeit. Aber für Shinji war er..."

"Selbst wenn es nur für die paar Tage war, die ich ihn kannte, war er die wichtigste Person in meinem Leben", fuhr Shinji leise für sie fort, als der anfängliche Schock langsam nachließ.

Misato war bestürzt über die Wahl seiner Worte, wollte es ihm aber nicht vorhalten. "E-es tut mir leid Shinji. Ich wusste nicht, dass es so eine große Wirkung auf die haben würde."

"Es...", seufzte er, seinen Kopf schüttelnd, um ihn frei zu bekommen, "Es ist in Ordnung. Ich habe nur – irgendwie – gehofft er müsste nicht kommen. Eigentlich sollte er...", er schluckte, das Mädchen ansehend, das ihn noch immer hielt, "der... der Ersatzpilot für Einheit 02 sein. Ich glaube das war ein närrischer Wunsch."

"Es tut mir leid", entschuldigte Misato erneut, unwissend, was sie sonst hätte sagen können.

"Es ist okay. Es ist nur... ich weiß nicht, wie ich jemandem gegenübertreten soll...", seine Augen schließend, ballte er seine zitternden Hände zu Fäusten, "jemanden, den ich getötet habe..."



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Misato rutschte rastlos auf ihrem Stuhl hin und her, mit leerem Blick die Ordner auf ihrem Tisch anstarrend, während sie gedankenlos mit einem Stift herumspielte. Sie hatte eigentlich ein wenig Papierkram nachholen wollen, einfach irgendwas tun wollen, um sich von dem abzulenken, was Shinji und Asuka ihr erzählt hatten. Aber offensichtlich funktionierte es nicht.

Ein als Mensch getarnter Engel. Und sie sollten so ein gefährliches Monster frei durch die Gänge von NERV laufen lassen? Warum schickten sie ihm nicht gleich eine Einladung zum Teetrinken zu Adams Füßen, während sie schon dabei waren?

Der Stift zwischen ihren Fingern hörte auf sich zu bewegen, die andere Hand ballte sich wütend um das Kreuz um ihren Hals. Hatte sie nicht geschworen sie auf jede erdenkliche Art und Weise zu bekämpfen? Wie konnte sie dann nur herumsitzen und zusehen?

Natürlich konnten sie nicht einfach hingehen und jemanden umbringen, der für alle andern ein normaler Junge, der fünfte Pilot, war. Sie würden ziemliche Schwierigkeiten haben sich zu rechtfertigen, selbst wenn man im Nachhinein beweisen könnte, dass er ein Engel war – und wer konnte schon wissen ob das möglich wäre. Nein, sie mussten warten bis er handelte. Sie konnte nur hoffen, dass sie ihn zumindest die meiste Zeit unter Beobachtung halten konnte. Shinji hatte ihr versichert, dass dieser Kaworu-Junge nicht per se feindlich gesonnen war, aber trotzdem...

Ein Piepsen ihres Computers riss sie aus ihren Gedanken.

Ein Popup-Fenster auf dem Bildschirm verlangte ihre Aufmerksamkeit, scheinbar eine Erinnerung des Kalenders.

"Donnerstag, 14:00 Uhr: Treffen in Matsushiro, Lagerhaus."

Normalerweise hätte sie die Nachricht ignoriert, da sie weder Zeit noch Lust hatte, wegen einem sinnlosen Treffen mit einem Controller, bei dem es um Lagerbestände gehen würde, die überhaupt nicht mehr existierten. Aber mal davon abgesehen, dass die Sache – angenommen dort arbeitete überhaupt noch jemand – mit einem einfachen Telefonanruf erledigt werden könnte, konnte sie sich nicht daran erinnern einen solchen Termin vereinbart zu haben. Tatsächlich benutzte sie dieses Kalender-Tool praktisch nie.

Vielleicht war ein Ausflug nach Matsushiro ja genau das Richtige, um sich von diesem Engels-Jungen abzulenken.


*********


Nach dem Zwischenfall mit dem dreizehnten Engel, waren die Anlage stillgelegt worden und nur noch ein kleiner Wartungstrupp, der sich um das lokale MAGI-System kümmern sollte, kam hier her. Und bei der Systemarchitektur der MAGI, mussten sie nicht öfter als einmal im Monat ausrücken. Seit EVA-03 zu der Testanlage gebracht worden war, war niemand mehr in der großen und vermeintlich leeren Lagerhalle gewesen.

Umso mehr war Misato überrascht, als sie das Schloss öffnete und das Tor zur Seite schob, nur um direkt von einer massiven Gestalt konfrontiert zu werden, die beinahe die gesamte Halle ausfüllte. Ihre Neugierde wuchs nur noch mehr, als sie diese riesige Masse betrachtete, die vollständig mit Planen abgedeckt war.

Es stellte sich ihr nicht wirklich die Frage, wie es möglich sein konnte, dass jemand etwas so großes in eine NERV-Anlage hatte schmuggeln können, ohne das es jemand bemerkt hatte oder sich darum scherte, oder warum jemand so viel auf sich nehmen würde, um es ihr auf geheimem Wege mitzuteilen. Sie fühlte sich eher wie ein Kind mit einem großen Weihnachtsgeschenk, das versuchte zu erahnen, was sich wohl hinter der Verpackung verbarg, bevor es sie öffnete.

Dieser Eindruck verstärkte sich sogar noch, als sie die kleine weiße Karte sah, welche an einer Schnur baumelte, die an den grauen Planen befestigt war.

[Ein Geschenk von den Toten]

Ihr wurde flau im Magen, als die wage Hoffnung wieder aufkam, die Shinji ihr einst gemacht hatte. Ohne Zeit zu vergeuden, hob sie die Plane weit genug an, um darunter zu schlüpfen.

Sie brauchte einen Moment, um zu realisieren, was sie dort ansah. Aber als sie die Natur ihres "Geschenkes" erkannte, kam ein breites Grinsen über ihr Gesicht. Ihr Handy aufklappend, drückte sie die meist genutzte Schnellwahltaste.

"Major Katsuragi hier. Geben Sie mir Dr. Akagi."



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Die Dämmerung hatte eingesetzt und badete die versunkenen Überreste der Stadt in goldenem Licht. Er schloss seine Augen, genoss die warme Sommerbriese, die über den neuen Ashi-See hinweg blies. Der Anblick musste die Betroffenen mit Trauer und Schmerz erfüllen, aber für ihn war es friedlich. Sogar die Statue, die er sich als Rastplatz auserkoren hatte, einst nach der oft genutzten religiösen Form eines beflügelten Engels geschaffen, nun grotesk verstümmelt und geköpft, passte für ihn in dieses friedliche Bild, wie sie sich ihm, halb im Wasser versunken, dar bot.

Fast von allein kam ihm eine alte Melodie in den Sinn und er begann sie als Ausdruck seiner Freude zu summen.

Er wusste, dass man ihn im NERV-Hauptquartier erwartete, aber er musste dies hier einfach tun. Er hatte die Enge in dem Flugzeug, das ihn nach Tokyo-3 gebracht hatte, nicht gemocht. Umso mehr genoss er nun seine Freiheit.

Zumindest solange, bis seine Ruhe gestört wurde.

"Du!", rief eine Stimme nach ihm, aber es schien ihn nicht zu kümmern. Er senkte lediglich die Lautstärke seines Liedes. "Hey, du! Verdammt, ich rede mit dir!"

Nun stoppte er sein Summen, doch er drehte sich noch immer nicht um, um zu sehen wer gekommen war, um ihn zu finden. Nicht dass er es musste.

"Und was könnte ich wohl für dich tun, Asuka Langley Soryu?"

Es gab eine kurze Pause. Sicherlich war sie überrascht, dass diese Person, die sie niemals getroffen hatte, ihren Namen kannte.

"Du bist Kaworu Nagisa, nicht wahr? Das Fifth Children?"

"Das ist der Name, der mir gegeben wurde", bestätigte er, mit einem Anflug von Belustigung in seiner Stimme. "Aber ich muss zugeben, dass ich erwartet hatte jemand anderen anzutreffen. Also sage mir, Second Children, Pilot von Evangelion Einheit-02, was bringt dich hier her? Willst du mich warnen, nicht deinen Platz als Piloten einzunehmen? Oder nicht den zu nehmen, den du liebst?"

Wieder gab es eine kurze Pause, bevor er ihr Schnauben hörte. "Hör mal: Ich weiß mehr über dich, als du vielleicht denkst! Wenn du irgendetwas Dummes versuchst, bin ich die erste, die dir in den Arsch tritt!"

"Ich bin mir nicht sicher, was du mit 'dumm' meinen könntest", erwiderte er ruhig und amüsiert. "Ich werde tun, was mir aufgetragen wurde und ich werde es tun, wenn die Zeit gekommen ist."

"Fein, ich warne dich ein letztes Mal: Wenn du versuchst... jemanden der mir nahe steht zu verletzen, wirst du es bereuen!"

"Du sprichst in der Tat von jemand anderem, Soryu? So eine Ankündigung scheint so unpassend von dem zu sein, was ich von dir gehört habe, aber ich kann nicht leugnen, dass es mein Herz mit Freude erfüllt. Deine Liebe für...", er kicherte leise, "sie muss gewaltig sein, wenn du es riskierst dafür von deinem wahren Selbst abzuweichen."

Es gab einen lauten Einschlag eines kleineren Steins, der die Statue traf, auf der er saß, aber er zuckte nicht einmal. Er war jedoch ein wenig enttäuscht, dass sie eine körperliche Tat als weitere Warnung verwendete, statt auf ihre verbalen Fähigkeiten zu vertrauen. Er hätte es genossen, die Unterhaltung fortzuführen, aber das Geräusch von knirschendem Sand sagte ihm, dass sie sich bereits umwandte um zu gehen.

"Bleib einfach fern von ihm!"

"Wie du wünschst...", sagte er sanft, als er seinen Kopf drehte um sie zu beobachten, wie sie davon ging, "... Frau Ikari..."


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"Asuka? Wo warst du?", fragte Shinji neugierig, als der hörte wie die Tür sich schloss, bereute es jedoch sofort, als er sah, wie sie frustrierte ihre Schuhe von sich stieß, ohne sich darum zu kümmern wo sie liegen blieben.

"Weg", war alles was er als Antwort erhielt, während sie an ihm vorbei in die Küche stürmte.

Seufzend sammelte er ihre Schuhe auf und stellte sie anständig an die Seite. "Du bist also gegangen um ihn zu sehen, oder?", rief er ihr nach. Natürlich gab es keine Erwiderung.

Als er Asuka in die Küche folgte, fand er sie mit dem Rücken an den Kühlschrank gelehnt, mit einer Dose Limonade an den Lippen. Er war sich nicht sicher ob sie wirklich davon trank, oder, wie es eher aussah, nur vor sich hin starrte.

"Ich dachte ich könnte ihn überraschen, ihn mit meinem Wissen von der Zukunft überrumpeln. Aber er war es, der mich überrumpelt hat", murmelte Asuka endlich. "Denkst du er könnte Bescheid wissen?", fügte sie hinzu, ihn das erste Mal ansehend, seit ihrer verärgerten Rückkehr.

Shinji dachte darüber nach, schüttelte aber letztendlich mit dem Kopf. "Ich habe keine Ahnung. Er ist immerhin ein Engel. Hat er irgendwas gesagt über... du weißt schon... dass wir aus der Zukunft kommen?"

"Nicht wirklich", gab Asuka murmelnd zu, endlich die Dose von ihrem Mund nehmend. "Aber er – er wusste wer ich bin, ohne dass er mich überhaupt ansehen musste. Und er hat merkwürdige Andeutungen gemacht, über... 'Leute die mir am Herzen liegen'."

"Also haben wir keinen wirklichen Beweis, dass er es weiß?", schloss Shinji. "Keine Anzeichen, dass er uns sagen könnte...?"

Ihre Augen schließend, seufzte Asuka erschöpft. "Nein, nichts was er nicht aus den Berichten, einem guten Gespür oder einfach Raten hätte erfahren können", fasste sie zusammen. "Aber ich weiß nicht, es war... beunruhigend..."

Darauf hin konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Tja, so ist Kaworu nun mal..."



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"Und hier haben wir den Pausenraum. Hier können sich die Leute eine kleine Erfrischung besorgen oder sich unterhalten, wenn sie nicht im Dienst sind."

Maya hatte momentan nicht vor das zu tun. Im Gegenteil wollte sie ihre Aufgabe als Reiseführerin so schnell wie möglich hinter sich bringen. Doch als sie weiter ging, bemerkte sie schnell, dass die Person hinter ihr, ihr nicht länger folgte. Als sie sich umdrehte, sah sie das Fifth Children noch immer bei den Getränke- und Snackautomaten stehen und fasziniert die farbenfrohe Zurschaustellung anstarren.

"Bist du durstig?", fragte sie verwundert.

"Nein, ich glaube nicht, dass das der Fall ist."

Maya lächelte ihn nervös an. Sie hatte sich nicht geweigert den neuen Piloten herumzuführen, aber das war zum größten Teil aus Höflichkeit und nicht weil sie begierig darauf war, ihre Zeit mit ihm zu verbringen.

Der Junge schien von einer merkwürdigen Aura umgeben zu sein, nicht wirklich unheimlich, aber... unbehaglich. Diese ständige, übermäßige Freundlichkeit war nicht normal. Natürlich implizierte das eine traurige Tatsache, aber es lag nun einmal unbestreitbar in der Natur des Menschen zuerst an sich selbst zu denken. Umso verrückter machte es sie, dass er nicht das geringste Anzeichen für ein solches Verhalten zeigte.

"Nun, sollen wir dann weitergehen...?" Sie verstummte als sie Schritte hörte, die ankündigten, dass sich ihnen jemand näherte. Ihren Kopf auf die Seite legend, um an dem zerzausten silbernen Haar ihres Begleiters vorbeisehen zu können, sah sie zwei bekannte Gestalten auf sie zukommen, die etwas besprachen, was sie nicht hören konnte. Beides, ihre Gespräch und ihre Schritte, stoppten abrupt, als Shinji und Asuka sie bemerkten.

"Ah, gut dass ihr hier seid", begrüßte Maya die beiden. "Darf ich vorstellen, Kaworu Nagisa, das Fifth Children. Er ist als Ersatzpilot vorgesehen, für den Fall, dass... ähm..."

Als hätte er ihre Zwangslage erspürt, übernahm der Junge und beendet die Vorstellung. "Warum sagen wir nicht einfach, dass wir alle hoffen, dass es niemals nötig sein wird, dass ich den Platz von einem von euch einnehmen muss?" Sein Lächeln weitete sich, als er Shinji seine Hand hinstreckte. "Du musst der berühmte Shinji Ikari sein. Es ist mir eine Freude, dich endlich kennen zu lernen."

Der dunkelhaarige Junge sah noch immer nicht auf. "W-willkommen", murmelte er flach. Dann schritt er an ihnen vorbei, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen. Asuka folgte ihm auf dem Fuße und warf dem Neuankömmling nur einen warnenden Blick zu, als sie an ihm vorbeiging.

Kaworus Lächeln ließ ein wenig nach, verging aber nicht völlig, die ungeschüttelte Hand fiel zurück an seine Seite, als er ihnen nachsah.

"E-es tut mir leid", versuchte Maya die nicht wirklich warme Begrüßung zu entschuldigen. "Asuka kann manchmal ein wenig... launig sein, wenn es um mögliche... ähm... Rivalen geht. Aber Shinji ist normalerweise um einiges Netter, als er es gerade war."

"Machen Sie sich keine Sorgen", versicherte der Junge. "Ich bin sicher, dass es nicht in ihrer Absicht lag mich zu verletzen. Tatsächlich glaube ich daran, dass jeder von uns seinen Teil beitragen wird, so wie es uns bestimmt ist..."



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Viele beschwerten sich oft über die Langsamkeit der langen Rolltreppen und Laufbänder, die als Brücken zwischen den verschiedenen Abschnitten des Hauptquartiers über tiefe Abgründe dienten. Sie hatte oft miterlebt, wie Leute den Komfort des Transportiert werdens aufgegeben hatten, um Zeit zu sparen indem sie zusätzlich ihre Füße benutzten. Rei hatte nie ein Problem damit gehabt. Der einzige Grund es wie sie zu machen wäre eine Notfallsituation, aber davon abgesehen machte es keinen Unterschied, ober sie ihre Zeit auf dem Weg zu oder an ihrem Ziel verbrachte.

Ikari und Soryu waren schon vor einer Weile gegangen und sie hatte entschieden ebenfalls zu ihrem Apartment zurückzukehren. Es war nicht so, dass sie ihre Gesellschaft nicht schätzte, eher das Gegenteil. Es war ein angenehmes Gefühl zu wissen, dass Leute dort waren, die sich um einen sorgten. Sie versuchten sie in ihre Aktivitäten einzubeziehen, aber sie fühlte sich oft fehl am Platz, wenn die beiden miteinander redeten. Sie versuchten es zu verbergen, vielleicht hatten sie es sogar selbst noch nicht bemerkt, aber es schien ein Band zwischen ihnen zu bestehen und sie hatte das Gefühl sie würde es stören.

Sie wusste, dass es unsinnig war sich auf diese Weise schuldig zu fühlen. Vielleicht war sie einfach noch nicht an diese neue Situation gewöhnt. Vielleicht würde sie sich, irgendwann, so akzeptiert fühlen, wie sie es sich für sie wünschten. Vielleicht... gab es einen anderen Grund für die Traurigkeit, die sie fühlte, wenn sie sie beobachtete.

"Du musst Rei Ayanami sein."

Erst dann bemerkte sie den grauhaarigen Jungen, der sie von dem nahenden Ende der Rolltreppe aus beobachtete und sie fragte sich, warum sie ihn nicht früher gesehen hatte. Eine starke Aura schien ihn zu umgeben, etwas nicht nur vage Vertrautes. Sie konnte sich nicht daran erinnern, ihn schon jemals gesehen zu haben, aber sie kannte ihn, dessen war sie sich sicher.

"Du bist genau wie ich", sagte er ihr schließlich lächelnd. "Wir haben beide die Form der Lilim für unsere Körper angenommen, um auf diesem Planeten zu leben."

Ihre Augen verengten auf seine Worte hin.

Lilim?

"Wer bist du?"

"Ah, wo sind meine Manieren?", fragte der Junge sich selbst, bevor er sich leicht verbeugte. "Ich bin Kaworu Nagisa, das Fifth Children."

"Nein."

Eine Augenbraue hob sich. "Ich fürchte ich verstehe nicht."

"Wer bist du", ihre Augen schienen sich zu bloßen Schlitzen zu verengen, "wirklich?"

Kaworus Lächeln veränderte sich nicht, aber aus irgendeinem Grund fühlte es sich plötzlich... bedrohlich an. "Ich glaube das weißt du bereits..."

Er hatte rechte. Sie kannte... ihn... schon lange. "Du bist dir im Klaren darüber, dass ich dir nicht erlauben kann erfolgreich zu sein?"

"Ich hätte nichts anderes erwartet. Aber...", begann er, seine Augen schließend und die Spannung schien plötzlich verflogen zu sein, als wäre sie nie da gewesen, "das kann warten, bis die Zeit gekommen ist."

Er lief an ihr vorbei und hinterließ dabei den Eindruck bei ihr, dass die Unterhaltung beendet war. Aber als sie sich bewegte, um ihren Weg fortzusetzen, drehte er sich wieder zu ihr um. "Da ich meine Zeit nicht mit... jemand anderem... verbringen kann, wie ich es eigentlich erwartet hatte... Würdest du mich begleiten?"

Rei blinzelte nur überrascht.


*********


Das Geräusch des Stimmengewirrs umgab sie. Überall um sie herum redeten Menschen mit ihren Kollegen, während sie ihre Gerichte aßen, die sie von der begrenzten Speisekarte gewählt hatten, nippten an ihren Getränken oder genossen einfach ein paar Minuten Pause von der Arbeit.

Rei tat keines von diesen Dingen. Sie runzelte nur die Stirn über das volle Tablett ihres Gegenübers, auf der anderen Seite des Tisches.

"Es ist nicht zu viel, oder?", fragte der grauhaarige Junge, ihr Starren bemerkend. "Es war nicht meine Absicht zu wirken, als wäre ich gierig."

"Ich bin mir nicht sicher, ob andere Leute Anstoß an solchem Verhalten nehmen", erwiderte sie, die drei Schüsseln verschiedener Suppen beäugend, genau wie das Nudel- und das Reisgericht und das kohlensäurehaltige Getränk, Cola genannt. "Aber es ist unwahrscheinlich, dass du in der Lage sein wirst, das alles zu verzehren."

"Ah, ich glaube ich habe mich einfach noch nicht an die Gewohnheiten der Lilim gewöhnt", gestand er, neugierig den glänzenden Löffel in seiner Hand begutachtend. "Es ist erstaunlich, selbst aus dem abstoßenden Bedürfnis ihrer sterblichen Körper, haben sie eine großartige Kunst erschaffen."

"Eine Kunst?", wiederholte Rei, unfähig seinen Gedankengängen zu folgen.

"Aber ja", begann er zu erklären, den Löffel in eine der Suppenschüsseln tauchend. "Um zu überleben würde es reichen, wenn sie nur die rohen Zutaten allein zu sich nehmen würden. Aber sie fügen sie zusammen, würzen sie, bis sie am Ende eine kleines Meisterwerk erschaffen haben, das nicht nur das bloße Bedürfnis befriedigt, sondern eine wahre Freude zu konsumieren ist."

"Nach dem was ich aus den Gesprächen des Personals erfahren konnte, würden dir viele von ihnen nicht zustimmen, wenn es um die Mahlzeiten in dieser Cafeteria geht."

Unverständlich für Rei, ertönte ein silbriges Lachen von dem Jungen. "Ah. Humor. Eine weitere, höchst unterhaltsame Sache, die diese Kultur erschaffen hat", sagt er, als er sich beruhigte. "Aber es stimmt, vielleicht schätze ich ihre Errungenschaften mehr als sie es selbst tun. Diese Empfindungen sind noch immer neu für mich, aber für sie sind sie selbstverständlich, da sie sie ihr ganzes Leben lang erfahren haben. Und es ist eine Weile her, dass ich zuletzt diese Freuden erfahren konnte."

Damit hob er den gefüllten Löffel an seinen Mund. Rei dachte darüber nach ihn vor der Hitze zu warnen. Doch anders als viele dachten, war ihr das Konzept des Humors nicht völlig unbekannt.



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"Sieht so aus als würde alles gut vorankommen."

Wenn sie auch nicht erschrocken war, so war Ritsuko doch überrascht, diese Stimme zu hören. Sich dafür entscheidend, diese Gelegenheit für eine kurze Pause zu nutzen, verband sie die letzten drei Kabel in der Konsole und erhob sich von der Kontrolleinheit, an der sie gearbeitet hatte.

"Ja", stimmte sie zu, rückwärts auf ihren Freund zugehend, ohne sich zu ihr umzudrehen, während sie in ihrem Laborkittel nach einer Schachtel Zigaretten fischte. "Die Fernsteuerung ist so gut wie fertig und sobald sie die letzten Teile zusammengesetzt haben, können wir die ersten Simulationen starten, bevor wir es ins Hauptquartier bringen."

"Was hast du ihnen gesagt?", fragte Misato und nickte dabei in Richtung der Techniker, die gerade an dem Koloss arbeiteten.

"Das Übliche: gar nichts." Ritsuko zuckte die Schultern. "Sie sind daran gewöhnt ihre Arbeit zu machen ohne Fragen zu stellen. Selbst wenn es ziemlich offensichtlich nicht die Wartung der MAGI ist, für die sie eingeteilt wurden."

"Also... keine Anzeichen dafür, dass der Commander Wind von unserem kleinen Projekt hier bekommen könnte?"

"Ikari?", murmelte Ritsuko, die Zigarette zwischen ihren Lippen anzündend. Sie nahm einen Zug und blies eine Rauchwolke aus, bevor sie fortfuhr. "Solange wir nicht zu unvorsichtig werden, zweifle ich daran, dass er es mitbekommen wird. Er mag es die Leute glauben zu lassen er sei ein allwissender, omnipotenter Schatten; professionell und gelassen in jeder Situation. Aber die Wahrheit ist, dass er sich im Moment viel zu sehr auf seine Pläne konzentriert, jetzt, wo sie kurz vor der Vollendung stehen. Er ist... aufgekratzt..."

"Aufgekratzt? Der Commander?", Misato schüttelte sich merklich auf das Bild hin, das sich in ihrem Kopf gebildet haben musste.

"Naja, auf seine Art zumindest", murmelte der Doktor nachdenklich. "Wo wir gerade von Ikari reden... ich habe noch nicht mit Shinji gesprochen."

Die Ankündigung schien den jungen Major nicht wirklich zu überraschen. Auch wenn sie noch nie wirklich aus sich herausgehend gewesen war, wurde Ritsuko, seit dem Vorfall mit den Rei-Klonen mehr und mehr distanzierter. Zumindest den beiden Zeugen gegenüber. Es war für die Blondine bereits eine Überwindung gewesen, sich bei ihrer alten Uni-Freundin zu entschuldigen. Shinji aber war – für sie zumindest – immer nur ein bloßes Kind gewesen; jemand der ihr untergeordnet war, nicht wirklich in negativem Sinne, aber jemand für den sie, als Erwachsene, ein Vorbild sein musste. Auch wenn sie es niemals so ausdrücken würde, fühlte sie sich in tiefstem Sinne beschämt darüber, ihm eine solch schwache und emotionale Seite von ihr gezeigt zu haben.

"Mach dir keine Sorgen", versicherte Misato ihr jedoch. "Er verseht es besser als du vielleicht denken magst."

"Hmm." Ritsuko wirkte für einen Augenblick abwesend, ließ Misatos Worte auf sich wirken, während ihre Zigarette herunterbrannte. Hatte ihre Freundin nur versucht, sie aufzumuntern? Das lag immerhin in ihrer Natur. Aber als ihr Vormund kannte Misato Shinji besser als sie selbst es tat. Ohne zu einer Antwort zu finden, erhob sie wieder das Wort.

"Wie auch immer", wechselte sie das Thema, "der Code ist ziemlich simpel, es sollte kein großes Problem sein die Kontroll-Systeme ein wenig effizienter zu gestalten."

"Ich frage besser nicht, wo du den Code bereits her hast", warf Misato halb grummelnd hinzu.

Ritsuko gab ihrer Freundin nur ein bedeutsames Lächeln. "Ich mache mir mehr Sorgen über die menschliche Komponente. Bist du dir wirklich sicher, dass das Fourth das hinbekommt?"

Misato schüttelte den Kopf, vielleicht mehr um ihre Zweifel zu zerstreuen, als um die Frage zu beantworten. "Er ist immerhin ein trainierter Pilot, also sollte es einfacher für ihn sein, sich an die leicht angepassten Kontrollen zu gewöhnen, als für jemanden der ganz von vorne anfangen muss." Sie seufzte. "Ja, er ist jung und er hat nicht viel Erfahrung, aber der Commander hat ziemlich deutlich gemacht, dass Rei Tabu ist und jetzt noch jemand neuen zu finden würde uns nirgendwo hinführen. Und ich traue dem Fifth nicht wirklich."

Ritsuko betrachtete sie. Sicher, sie hatte gesehen wie Makoto wieder herumgeschnüffelt hatte, in den Daten des Fifth. "Also weißt du...?"

Der Major nickte. "Vermutlich mehr als ich sollte..."



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"Hey, Ayanami!"

"Tja, wenn das nicht unsere Rei ist", fügte Asuka zu Shinjis Begrüßung hinzu und brachte das angesprochene Mädchen damit dazu stehen zu bleiben, als sie aus der Tür kam.

"Ist es ungewöhnlich mich an der Tür zu unseren Umkleidekabinen anzutreffen?", fragte Rei, verwirrt vom Tonfall des Rotschopfes.

Asuka seufzte, mit Zeigefinger und Daumen ihren Nasenrücken massierend. "Humor, Rei, Humor! Da müssen wir wirklich mal dran arbeiten."

Rei entschied sich nicht zu antworten. Tatsächlich fiel Asuka auf, dass Rei von Shinji die nervige Angewohnheit übernommen zu haben schien, ihr Gerede zu ignorieren, während sie durch die Gänge wanderten, wobei sie gedankenlos mit dem Kopf nickte, ob sie nun zustimmte oder nicht. Das konnte man, im Vergleich mit dem völlig gleichgültigen Verhalten im früheren Leben des blauhaarigen Mädchens, schon als einen Schritt nach vorne betrachten, doch Asuka hatte trotzdem das Bedürfnis Shinji grün und blau zu schlagen, weil er so ein schlechtes Vorbild war. Alles was nun noch fehlte war, dass Rei hin und wieder ein "Ja, Asuka" (oder schlimmer noch, "Ja Schatz"!) einwerfen würde.

Wenigstens konnte sie Shinji mit Fragen wie "Wirst du für den Rest des Monats meine Arbeiten übernehmen?" oder "Möchtest du eine Flasche Tabasco in deinem Curry?" hereinlegen, wenn sie bemerkte, dass er ihr nicht zuhörte. Aber anders als er, schien Rei sogar zuhören zu können, selbst wenn sie es nicht tat, so paradox sich das auch anhörte.

"Also, was hältst du vom Fifth?", kam Asuka endlich zu dem tatsächlichen Grund, aus dem sie Rei abgefangen hatten und wie sie es schon fast erwartet hatte, bekam sie dieses Mal ohne eine Sekunde des Zögerns eine Antwort.

"Ich bin zuversichtlich, dass er ein effizienter Pilot sein wird." Ob Rei die Erwartung nicht mitbekommen hatte, dass Asuka eher ihre Meinung auf persönlicher, als auf professioneller Ebene haben wollte oder ob sie sie einfach ignorierte, war für Asuka unmöglich zu erahnen.

"Stimmt es, dass du Zeit mit ihm verbracht hast?" Shinji hörte sich vielleicht ein wenig zu aufdringlich an, aber Rei schien das nicht zu bemerken.

"Ich war bei einigen Gelegenheiten in seiner Gesellschaft, ja", gab sie ohne Reue zu. "Sollte ich nicht mit anderen interagieren?"

"Oh, es ist toll, großartig sogar, dass du das machst", versuchte er sofort ein potentiell katastrophales Missverständnis zu klären. Dass sie sich anderen öffnete und Freundschaften schloss war immerhin mehr als willkommen. "Aber er... vielleicht ist er nicht... i-ich glaube nicht, dass er ein guter Umgang ist, weißt du?"

"Er ist gefährlich", fügte Asuka unverblümt hinzu.

Doch ihre Warnung schien Rei nicht besonders zu beunruhigen, denn sie sah die beiden nur an, als ob sie ihr gerade erzählt hatten, dass der Himmel blau sei. "Ich weiß, dass er keine Gefahr für mich darstellt", sagte sie einfach, bevor sie sich umwandte um zu gehen.

Bei jedem anderen hätte Asuka das als einen Versuch angesehen, einer unangenehmen Diskussion zu entkommen, von der sie wussten, dass sie sie nicht gewinnen konnten. Aber bei Rei war es viel schwerer zu erkennen, ob dies der Fall war, oder ob Rei einfach Rei war und schlichtweg alles gesagt hatte, was es zu sagen gab.

"Wir machen uns nur Sorgen um dich, verstehst du?"

Das schien das blauhaarige Mädchen zu überraschen denn sie kam abrupt zum Stillstand. "Ich... danke", sagte sie, ohne sich umzudrehen. "Aber dafür gibt es keinen Grund. Ich kann euch versichern, dass für mich keine Gefahr von ihm ausgeht."



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Sie hasste die Synch-Tests inzwischen wirklich. Obwohl sie sich einst die Langeweile schön reden konnte, sich sogar auf die Tests gefreut hatte, als einen Weg mit ihren guten Ergebnissen ihr Ego aufzublasen, waren sie nun einfach nur noch nervtötend. Natürlich konnte sie nicht einfach sagen, dass ihr Synchronwert im Kampf mit Sicherheit hoch genug sein würde, obwohl sie im Moment ernsthaft darüber nachdachte genau das zu tun. Aber selbst wenn sie es täte, wäre es dummerweise immer noch zweifelhaft, dass man ihr glauben würde und dann würde man ihr die Tests wohl trotzdem aufzwingen.

Innerlich stöhnend, warf Asuka abwesend einen Blick auf das Komm-Fenster, das das Innere von Shinjis Plug zeigte, aber gerade als sie ihre Augen wieder abwandte, nahm sie etwas in ihrem Augenwinkel wahr, was ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Display lenkte. Scheinbar schien Shinji selbst etwas anzustarren. Sie konnte nicht sehen wohin er sah, doch es war nicht schwer zu erraten.

Dieser komische Engels-Junge. Er saß gelassen grinsend dort in Reis Testplug, vermutlich nach gut dünken alle bisher da gewesenen Rekorde brechend. Sie hätte wohl niemals Freundschaft mit diesem "Typen" geschlossen, selbst unter anderen Umständen. Aber Shinji war nicht sie und in dem Zustand, in dem er gewesen war, war es nur allzu verständlich, dass er jede Form von Zuneigung angenommen hatte, die er kriegen konnte. Selbst wenn sie in solchen lächerlichen Mengen in der Form dieses Bastards kam.

Shinji mochte ein blinder Narr gewesen sein, aber es war Kaworu gewesen, der gewusst hatte, dass einer von ihnen sterben musste; er war es gewesen, der gewusst hatte, dass diese "Freundschaft" in jedem Fall darin enden würde, dass ihr späterer Ehemann verletzt werden würde. Und sie wusste, tief im Inneren, war Shinji noch immer derselbe blinde Narr.

Wenn er es nicht sehen konnte, dann würde es an ihr hängen bleiben es zu tun.


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Der Synch-Test endete schließlich nach einer weiteren Stunde. Kaworu hoffte, dass die Lilim durch die Werte, die er erreicht hatte, nicht allzu verwirrt sein würden, in sich hinein lächelnd, als aus dem Test-Plug kletterte. Er sah Shinji und das Second das gleiche tun und sofort auf den Ausgang zuhaltend, doch er bemerkte, dass Soryu ihm einen bösen Blick zuwarf. Hatte man ihr die Ergebnisse bereits verraten? Es wurde herumerzählt, dass sie diese Zahlen sehr ernst nahm.

Er würde die Antwort nicht so bald erfahren. Während seine Mit-Piloten sich auf den Weg zu den Duschen machten, fand er seinen Weg von einem athletischen, braunhaarigen Jungen in Shinjis Alter versperrt, der einen dunklen Plugsuit, ähnlich seinem eigenen, trug.

"Touji Suzuhara, nehme ich an", grüßte Kaworu. "Das Fourth Children."

"Öhm, ja. Du bist der Neue, hm?", erwiderte Suzuhara und hielt ihm die Hand hin. "Karo..."

"Kaworu Nagisa", korrigierte er freundlich, die ihm angebotene Hand nach diesem gebräuchlichen Ritual ergreifend.

"Oh, richtig. Also, wie fühlt es sich an Kanonenfutter zu sein?"

"Kanonen...? Oh ja, ich hörte von deinem unglücklichen... Unfall..."

"Ja..." Suzuhara trat einen Schritt zurück und sah ihn ein wenig anders an. Kaworu hatte diesen Blick schon bei vielen bemerkt, sich aber nie viel dabei gedacht. "Hey, ähm... die Art wie du dich bewegst und redest... und dieses Lächeln... du bist doch nicht..." Der Junge wedelte langsam mit der Hand. "Ich meine, nicht das ich ein Problem damit habe, oder so... aber trotzdem..."

"Ich fürchte ich verstehe nicht, worauf du hinaus willst."

"Ja, sicher, schon gut", brabbelte Suzuhara hastig, langsam rückwärts auf den Plug zugehend. "Ich mache mich besser auf den Weg. Die wollen mich noch immer für dieses super geheime... äh, hähä, geheime Zeugs. Wirklich, mit fünf Piloten sollten sie auch fünf Testplugs haben, oder? Das würde die Sache um einiges Beschleunigen. Naja, bis dann..."

Das Fourth drehte sich eilig um und murmelte etwas von frischen LCL in dem Plug. Kaworu fand diese Reaktion ziemlich faszinierend. Vielleicht sollte er irgendwann mal ein paar Nachforschungen darüber anstellen. Aber er entschied, dass es fürs erste besser wäre erst einmal die Duschen aufzusuchen.

Aber er war doch ein wenig überrascht, als er einen finster dreinblickend Rotschopf vorfand, der die Türen zu den Waschräumen bewachte. Scheinbar hatte sie sich gar nicht erst die Mühe gemacht sich zu waschen und nur eilig die Kleidung gewechselt. Ihre Haut zeigte noch immer Spuren von LCL.

"Und wo willst du bitteschön hin?", fauchte sie verächtlich.

"Ich wollte nur zu den Duschen, um meinen Körper von dem restlichen LCL zu befreien", legte er das Offensichtliche dar.

Aber sie schüttelte mit dem Kopf, ihre nasses Haar verspritzte einige Tropfen. "Shinji ist gerade da rein gegangen."

"Ist er das? Naja, unsere Vorstellung war eher kurz...", kommentierte Kaworu, als er einen weiteren Schritt auf die Tür zumachte. Doch das Mädchen stoppte ihn erneut. Das verächtliche Starren der beiden blauen Augen wurde noch eindringlicher, doch die dadurch erwünschte Wirkung setzte bei ihm nicht ein.

"Ich dachte ich hatte dir klar gemacht, dass du dich von ihm fern halten sollst."

"Ich entschuldige mich. Ich war mir nicht darüber im Klaren, dass ich im Begriff war ihm näher zu kommen, als es mir 'erlaubt' ist." Er nahm die unterschwellige Warnung nicht besonders ernst. Doch sie machte ihn neugierig. "Ich frage mich... diese Paranoia, diese Aggression... ist es das, was ihr Eifersucht nennt?"

"W-was willst du...?" Zum ersten Mal ließ ihre Entschlossenheit nach, als er weiter auf sie zu kam. Sie wich vor ihm zurück, bis sie von der Wand neben der Tür aufgehalten wurde und ihr keinen Ausweg ließ, als er in ihren persönlichen Raum eintrat.

Sich so nahe an ihr Gesicht heran lehnend, wie er konnte, ohne es zu berühren, wurde seine Stimme ernster. "Hast wirklich solche Angst ihn durch meine Hand zu verlieren?"

Die Augen des Mädchens konnte die Angst nicht länger verbergen, egal wie sehr sie versuchte standhaft zu bleiben. Die erwartete Antwort kam jedoch früher, als er damit gerechnet hatte.

Kaworu zuckte durch den vorzüglichen Schmerz zusammen, den Asukas Faust in seinem Bauch auslöste. Es brauchte nicht mehr als einen Augenblick, bis sein Lächeln zurückkehrte, während der Rotschopf die Zeit nutzte um aus seiner Nähe zu entkommen.

"Wenn du es wirklich wissen willst: Ja, ich habe Angst!", gab sie schreiend zu. "Ich werde nicht zulassen, dass er verletzt wird, von dir, oder irgendwem sonst."

"Weil er das selbe für dich tun würde?", fragte Kaworu.

"Nein, weil er das selbe für mich tut!", antwortete Asuka entschlossen, ohne einen Zweifel an ihrem Glauben zu lassen.

"Tut er das wirklich?", fragte er trotzdem. "Solch ein habgieriges Verhalten passt nicht zu ihm. Oder bin nur ich es, mit dem du ihn nicht teilen möchtest?"

"Heh", lachte sie höhnisch. "Du nennst mich habgierig und verlangst gleichzeitig, dass ich ihn 'mit dir teilen' soll?"

"Ich muss zugeben, meine Wortwahl mag nicht die weiseste gewesen sein. Aber sie treffen doch zu. Du fürchtest dich nicht, dass 'irgendwer sonst' ihn verletzen könnte. Du fürchtest nur mich."

"Ich...", sie verstummte, versuchte die in ihren Augen aufflackernde Unsicherheit zu verbergen, indem sie seinen Blick vermied. "Ich habe meine Gründe."

"Aber du kennst mich nicht einmal", fuhr er eifrig fort und drängte sie damit verbal in die Ecke. "Du urteilst über mich durch Hörensagen."

"Mehr muss ich auch nicht wissen", sagte sie, ihren Kampfgeist bereits wiederfindend. "Wenn du nett zu ihm bist, wirst du ihn verletzen; wenn du dich ihm gegenüber wie ein Arsch verhältst, wirst du ihn genauso sehr verletzen. Es ist mir egal wie du bist. Ich will dich gar nicht kennenlernen. Das letzte was ich gebrauchen kann, ist dass du mich auch noch verletzt."

Also war das ihr Motiv? "Weißt du, für jemanden der scheinbar weiß wer ich bin, war es wirklich mutig mich auf diese Art und Weise zu konfrontieren. War das tatsächlich nur dein berühmter Mut, der dir vorrauseilt, oder könnte es sein, dass du mich besser kennst als du zugeben willst?"

Sie antwortete ihm nicht. Sie funkelte ihn an, knirschte mit den Zähnen, ihre Hände zu Fäusten geballt, dazu bereit zuzuschlagen, als sie weiterhin seinen Weg versperrte, vor Wut und Frustration schnaubend. Kaworu lächelte zu sich selbst. In diesem Moment wusste er, dass er einen Nerv getroffen hatte.

Asuka wäre vermutlich für alle Ewigkeit dort stehen geblieben, doch eine Hand auf ihrer Schulter ließ sie überrascht zusammen zucken, bevor ihre Gesichtszüge sich entspannten, als sie hinter sich blickte. Kaworus Lächeln hingegen, wankte ein wenig, als er die Trauer und Reue bemerkte, die sich in Shinjis Augen sammelten, als er sie auf ihn richtete.

"Es... es tut mir leid..." Er brauchte einen Moment, um die Stimme des braunhaarigen Jungen zu erkennen. Die Worte waren kaum zu verstehen und es war offensichtlich, dass Shinji hart mit sich kämpfte, um sie heraus zu bekommen; seine Lippen sich kaum bewegend. "Wenn du irgendetwas zu sagen hast... Aber wenn nicht, dann will ich nicht... will ich nicht..."

"Mach dir keine Mühe", fiel der Rotschopf ihm ins Wort, demonstrativ seine Hand in ihre nehmend, während sie weiterhin Kaworu anfunkelte. "Er mag es einfach nur mit den Leuten zu spielen, ihnen etwas vorzumachen. Es macht keinen Sinn jemandem zuzuhören, der seine Worte nicht mit Taten belegen kann."

Shinjis Kopf sackte ein wenig nach unten, bevor er nickte. Asuka nahm das als ein Zeichen zu gehen und zog ihn hinter sich her. Das Paar eilte schweigend an dem silberhaarigen Jungen vorbei, keinen weiteren Blick an ihn verschwendend und schließlich konnten nicht einmal ihre Schritte mehr gehört werden.

Doch Kaworu bewegte sich immer noch nicht.



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Sie wusste, dass viele sie darum beneideten, der neue Kopf von Projekt-E zu sein. Selbst wenn es nur für eine Weile war. Als die ehemalige Assistentin ihrer Vorgängerin, war sie gut mit der Arbeit vertraut und momentan die passendste Person für den Job.

Aber Maya war an Dr. Akagis Seite viel glücklicher gewesen.

Wo andere den Ruhm und die Privilegien sahen, die mit der Position kamen und erst Recht da sie sie in so einem jungen Alter erreicht hatte, konnte sie nur die kaum ertragbare Last der Verantwortung und die unglaubliche Menge an Arbeit erkennen, bei der sie sich fragte, wie ihr Idol das nur alles hatte bewältigen können.

Dem Commander die Ergebnisse des letzten Harmonik-Tests zu geben schien im Vergleich eher einfach zu sein, aber mit ihm in diesem dunklen und unheimlichen Büro allein zu sein, brachte ihren Magen dazu zu verkrampfen.

"Ich verstehe", murmelte er schließlich, als einzige Reaktion auf die merkwürdigsten Ergebnisse, die sie jemals erhalten hatten.

'Oh Gott, habe ich ihn in Verlegenheit gebracht? Ich sollte nicht immer so wissenschaftlich sein!'], raste es durch ihren Kopf, sich Vorwürfe machend, während sie versuchte sich hinter ihrem Klemmbrett zu verstecken. 'Aber er hat selbst einen Doktor-Titel, oder? Er sollte es verstanden haben. Oh Gott, was soll ich nur tun?'

"U-um ehrlich zu sein habe ich keine Erklärung für diese Resultate", versuchte sie ihn zu besänftigen. "Vielleicht... vielleicht sollte Dr. Akagi mal einen Blick darauf werfen."

Das hatte kaum den erwünschten Effekt. Obwohl er endlich ein paar Emotionen zeigte, hätte sie auch gut ohne den zornigen Blick leben können. "Dr. Akagi?"

"Ähm... Ja, Sir, sie war in letzter Zeit nicht oft anwesend", stammelte Maya nervös. Das letzte, was Maya erreichen wollte, war es ihr Idol in noch größere Schwierigkeiten zu bringen. Selbst, wenn es nur aus Versehen war. "Ich dachte seit dem Vorfall letztens, wäre sie... naja... seit... seit ich die Verantwortung habe..."

"In der Tat, ist sie nicht länger wichtig für mich", unterbrach er sie. Bei der Benutzung des Wortes "mich", anstatt der logischeren Wahl des kollegialeren "uns", lief der jungen Frau ein kalter Schauer über den Rücken.

Der Commander verfiel erneut in Schweigen und starrte herab. Er schien in Gedanken verloren zu sein und bald bekam Maya den Eindruck, er hätte völlig vergessen, dass sie dort war. Ihre Augen schnellten von einem Ende des gewaltigen Büros zum anderen, die abstrakten Symbole betrachtend, die den Raum dekorierten, während sie auf ein Zeichen von ihm wartete, was er als nächstes von ihrs erwartete. Nachdem sie sich ein paar Minuten lang von einem Bein auf das andere gelehnt hatte, fragte sie sich, ob sie bereits entlassen war, aber sie wagte es auch nicht, einfach so zu gehen.

Sie schrak auf, als er wieder sprach, obwohl sie sich nicht sicher war, ob er zu ihr oder sich selbst sprach. "Das ist jetzt egal. Andere Dinge haben eine höhere Priorität." Endlich sah er wieder zu ihr auf. "Sie dürfen gehen."



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Sie hatte es schon immer geliebt, sich von dem sauberen Wasser umspülen zu lassen, ihren Körper und ihre Seele reinigend. Sie genoss es in dem großen Pool schwimmen zu gehen, den NERV zur Verfügung stellte, aber sie bekam dieses Gefühl auch in den Duschen und Bädern des Hauptquartiers. Letzteres erlaubte ihr besonders gut ihren Geist zu beruhigen, ihre Gedanken streifen zu lassen, weswegen sie sie oft aufsuchte, wenn sonst niemand dort war.

Dieses Mal jedoch, wurde die Ruhe und der Frieden durch herannahende Schritte unterbrochen. Langsam öffnete sie ihre Augen ein wenig, doch sie hielt es nicht für nötig sich umzudrehen, um den Neuankömmling anzusprechen.

"Dies sind keine gemischten Bäder."

"Ich entschuldige mich. Beunruhigt dich meine Gegenwart?"

Rei antwortete nicht und nach einem kurzen Blick über die Schulter, richtete sie ihren Blick wieder auf seine Reflektion im Wasser. Offensichtlich wusste er, dass seine Anwesenheit, oder gar ihrer beider Nacktheit, sie nicht störte. Ansonsten wäre er ihr nicht hierher gefolgt. Nachdem er dennoch respektvoll für einen Augenblick auf eine positive Antwort gewartet hatte, setzte er sich letztlich neben sie in das warme, flache Wasser.

Er blieb schweigsam und Rei drängte ihn nicht, die Gründe für seine Anwesenheit preiszugeben. Obwohl sie bemerkte, dass ihn etwas zu beschäftigen schien.

Letztendlich begann er ganz von alleine zu reden. "Also ist sie ihm sehr ähnlich, nehme ich an?"

"Wer?"

"Das Second Children. Eine interessante Person. So erfüllt von Angst und Schmerz, dass sie ihr verbliebenes Glück mit allen Mitteln verteidigt, selbst auf die Gefahr hin zu verlieren, wonach sie sucht. Damals hatte er jede Spur von Glück verloren. Aber es hätte mich nicht überrascht, wenn er tatsächlich dasselbe getan hätte, wie sie."

"Ich verstehe nicht..."

"Ein zerbrechliches Herz, genau wie seines", fuhr er fort, ohne wirklich auf ihre Verwirrung einzugehen. "Und wie deines", kommentierte er und warf ihr, in einem kurzweiligen Aufleben seines typischen Lächelns, einen flüchtigen Seitenblick zu. Doch sein Gesicht fand schnell zu diesem nachdenklichen Ausdruck zurück. "Sind alle Lilim so? Ich hatte gedacht ich würde sie inzwischen verstehen. Ich wusste, dass sie alle ständig Schmerz fühlen. Dass sie alle einsam sind. Sich gegenseitig aussperren, um nicht verletzt zu werden, aber sich dadurch gleichzeitig vor denen verschließend, die ihnen helfen könnten, den Schmerz zu lindern. Doch ich hatte gedacht dass er, die Intensität seines Leidens, ein besonderer Fall sei. Aber nun frage ich mich ob die anderen, anstatt ihren Schmerz zu vergessen, nicht einfach besser dazu in der Lage sind, ihn zu verstecken."

"Ich bin nicht...", versuchte sie zu wiedersprechen, wurde jedoch sofort unterbrochen.

"Nein, aber du bist ihnen sehr ähnlich. Ob es nun wegen deiner Herkunft ist, oder weil du so lange unter ihnen gelebt hast, kann ich nicht sagen."

"Vielleicht ist es nicht nur eine Eigenschaft von ihnen, sondern von allen lebenden Wesen." Sie kniff ihre Augen zusammen. "Wie könnte es sonst sein, dass du hier bei mir bist und nicht bei ihm?"

Er war ungewöhnlich still, bestätige ihren Erfolg den Spieß umgedreht zu haben. "Ich werde mich ihm stellen, wenn die Zeit gekommen ist."

"Und warum ist das nicht jetzt? Was für einen Grund hast du zu warten?"

Wieder nahm er sich Zeit über ihre Worte nachzudenken und sein Gesicht wurde ernst, wodurch sie beinahe den Eindruck bekam, dass sie es plötzlich mit einer völlig anderen Person zu tun hatte. Er mochte ein Experte darin sein, die Gedanken und Gefühle von anderen Leuten zu lesen, doch – genau wie so viele Menschen – war er nicht ganz so erkenntnisreich bei sich selbst.

"Vielleicht hast du recht", gab er schließlich zu. "Diese... Angst... sie mag eine mächtigere Emotion sein, als ich gedacht hatte. Aber ich werde nicht mehr lange in der Lage sein mich zurück zu halten."

Es war nicht schwer die Bedeutung seiner Worte zu erfassen. "Also wirst du bald handeln..."

"Ja..."

"Du bist dir im Klaren darüber, dass ich dir nicht erlauben kann, erfolgreich zu sein?"

"Ich hätte nichts anderes erwartet..."

Das waren die letzten Worte, die sie sprachen, während sie schweigend dort saßen. Es war schwer zu sagen wie viel Zeit vergangen war, denn die einzigen Geräusche die sie machten, war das Tröpfeln und Plätschern, die ihre leichten Bewegungen im Wasser verursachten. Doch ob es nun drei Minuten oder drei Stunden gewesen waren, als die Lichter ausgeschaltet wurden, kümmerte sich keiner der beiden darum.

Letztendlich jedoch, erhob sich Rei aus dem sich abkühlenden Wasser. Ein letztes Mal sah sie ihn an, fast so als müsste sie sich vergewissern, dass er noch immer dort war. Ihr Blick wurde mit einem Lächeln erwidert, das nicht so selbstsicher wirkte wie sonst, aber es war dennoch ein Lächeln.

Ohne weitere Worte der Verabschiedung verließ Rei das Bad und kleidete sich an, bevor sie ging. Sie machte sich nicht einmal die Mühe sich vorher abzutrocknen.



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"Das kommt mir irgendwie bekannt vor", murmelte Kozo, während er seine Hände hob. Die Belustigung in seiner Stimme wirkte in dieser Situation vielleicht unpassend, aber er hatte seine Zweifel daran, dass der Mann hinter ihm tatsächlich die Absicht hatte ihm etwas anzutun. Er wäre vermutlich bereits tot, wenn das der Fall gewesen wäre.

"Sorry, ich bin eigentlich kein Mann der sich wiederholt", entschuldigte sie der Eindringling, sein Grinsen in seiner Stimme hörbar. "Solange es nicht um eine Frau geht, zumindest. Und es ist nicht meine Schuld, dass Ihre Wachen immer noch nicht richtig auf Überraschungen reagieren. Ich glaube beim letzten Mal haben sie ihre Lektion noch nicht gelernt."

"Ich muss zugeben, ich habe auch nicht damit gerechnet sie noch einmal wiederzusehen, Herr Kaji", sagte Fuyutsuki und drehte sich um, ohne auf die Erlaubnis zu warten.

"Um ehrlich zu sein, ich auch nicht", stimmte Kaji zu. "Aber wie Sie sich vielleicht erinnern, ich bin auf der Suche nach der Wahrheit für mich selbst. Naja, vielleicht mich selbst und eine Handvoll andere – zumindest eine Handvoll, wenn man von der Hand eines Gottes ausgeht."

Eine ergraute Augenbraue hob sich. "Wirklich? Ich hatte den Eindruck sie wären zu dem Schluss gekommen, dass ihre Suche nach der Wahrheit zu einem Ende gefunden hat und sie weitergegeben hätten."

"Das dachte ich für eine Weile auch", gestand Kaji schulterzuckend. "Aber ich habe realisiert, dass es noch ein paar Rätsel gibt, die es wert waren die nötigen Vorkehrungen zu treffen, um mir zu erlauben sie zu lösen."

"Sie werden eines Tages erkennen, dass es in Ihrem Leben immer Rätsel geben wird, die es wert sind sie zu lösen. Aber wenn ich raten müsste, würde ich sagen sie zielen auf die außergewöhnlichen Reisen des Second und Third Children ab, nicht wahr?"

In einer seltenen Ausnahme, ließ das Lächeln auf dem stoppeligen Gesicht nach. "Sie wissen davon?"

Fuyutsuki nickte, bestätigte die Schlussfolgerung des Mannes. "Bis jetzt ist es eigentlich nur eine Theorie, die auf Indizien beruht, die erst noch bewiesen werden müssen. Aber es ist genug um Ikari nervös wegen ihrem Wissen werden zu lassen. Ich weiß nicht, was er für sie geplant hat, denn sie, oder zumindest Shinji, werden immer noch gebraucht, selbst wenn der siebzehnte Engel zerstört ist. Aber ich bezweifle, dass er weiterhin einfach nur zusehen wird, wie sie sein kostbares Szenario manipulieren.

"Für jemanden der immer vertrauenswürdig hinter ihm stand, hören Sie sich nicht gerade an, als würden Sie mit ihm übereinstimmen."

"Für jemanden der uns so lange beobachtet hat, wissen Sie nicht besonders viel über mich", konterte Fuyutsuki. "Ich war und bin mit vielen seiner Entscheidungen nicht einverstanden. Aber es gibt nicht viel das ich dagegen tun kann, außer die Stimme seines Gewissens zu sein. Doch ich muss zugeben, dass ich manchmal vielleicht ein wenig lauter hätte sein sollen."

Er atmete tief durch, das Alter in seinen Knochen spürend, als er sich aufrichtete. "Ich bin hier wegen Yui Ikari, nicht wegen Gendo. Als sie mir ihre Pläne darlegten, um gegen die von SEELE zu arbeiten, von denen ich kurz bevor stand sie aufzudecken, zögerte ich nicht lange. Aber unfähig mit dem Opfer seiner Frau fertig zu werden, hat Gendo sie geändert. Er wollte den Third Impact nicht länger verhindern, er arbeitet nun auf eine eigene Version hin, die ihn wieder mit Yui vereinen soll und hat einen Katalysator erschaffen, der ihm die Kontrolle darüber gewähren soll.

"Rei?", vermutete Kaji ganz richtig. "Aber warum helfen Sie ihm dann noch immer?"

"Ich glaube nicht mehr daran, dass es einen Weg gibt es zu verhindern. Und auch wenn es schwer zu glauben sein mag, seine Version wäre das geringere Übel."

"Sie scheinen sich dem sehr sicher zu sein."

Kozo nickte. "Der eigentliche Plan beinhaltete den Tod von Lilith und Adam, nachdem die anderen Engel besiegt wären, sodass sie nichtmehr dazu benutzt werden könnten die Vereinigung einzuleiten. Aber mit den EVAs unter seiner Kontrolle und Adam wortwörtlich in seiner Hand, steht das außer Frage."

"Es gibt immer noch die Möglichkeit die alten Männer auszuschalten, bevor sie zuschlagen können."

Fuyutsuki runzelte die Stirn auf den mangelnden Verstand des Agenten hin. "Sie sollten wissen, dass SEELE zu viel Macht besitzt, um einfach so ausgeschaltet zu werden."

Doch Kaji schüttelte den Kopf. "Niemand ist mächtig genug, um es mit der gesamten Menschheit aufzunehmen."

Der alte Mann konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Diese naive Idee erinnerte ihn an jemanden. "Wie wollen Sie die Menschheit informieren? Beweise für ihre Existenz mögen existieren, aber sie sind schwer zu interpretieren und noch schwerer wasserdicht zu machen. Ich war einmal töricht genug genauso zu denken. Aber wenn ich nicht das Angebot bekommen hätte, hier zu arbeiten, als ich Ikari mit dem was ich hatte konfrontierte, wäre ich tot gewesen, bevor ich damit hätte an die Öffentlichkeit gehen können."

"Oh, ich weiß davon. Tatsächlich ist eine kleine Unterhaltung mit Herrn Yamaki der Grund für meinen Besucht bei ihnen." Kaji kratzte sich am Kinn. "Ich möchte nur wissen: Haben Sie die Dokumente noch?"

"Sie wissen, dass Sie keine Möglichkeit haben, sie unter die Leute zu bringen", erinnerte Kozo ihn erneut.

Aber der ehemalige Spion grinste nur. "Lassen Sie das mal meine Sorge sein. Also, haben Sie sie noch, oder nicht?"

Zögerlich schüttelte Fuyutsuki den Kopf. "Ich fürchte das meiste davon wurde zerstört, als ich GEHIRN beitrat", sagte er. Die Enttäuschung war seinem Gegenüber quasi ins Gesicht geschrieben und er konnte es ihm nicht verübeln. Jahre der Arbeit kamen zu so einem abrupten Stillstand, sein nobles Streben war vergeblich gewesen. Doch er konnte nichts tun um zu helfen...

Oder vielleicht doch?

"Aber das heißt nicht, dass es nicht andere gibt." Kozo schloss seine Augen mit einem Seufzen. "Suchen sie morgen nach neunzehn Uhr nach einer Disk in einem Mülleimer am Nagao-Toge-Bahnhof."



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Sein Lächeln war ein ernstes, als er schweigend auf der Gangway im EVA-Cage stand. Er verspürte Bedauern darüber, dass er dies tun musste, aber sie hatte recht gehabt. Er konnte nicht länger warten. Auch wenn er wusste, dass das wonach er suchte nicht da sein würde, würde er willentlich ich die Falle laufen, in die SEELE ihn als ihr Bauernopfer geschickt hatte. Er hätte eine andere Gelegenheit vorgezogen, um bestimmte Dinge mit Shinji zu klären, aber scheinbar hatte es einfach nicht sein sollen. Das hier war seine einzige Chance.

Und so blickte Kaworu zu dem riesigen Werkzeug auf, das zu benutzen er wieder einmal gezwungen war. "Komm, Adams Alter Ego, Diener der Lilim."

Doch als er sich umdrehte spürte er, dass sein Befehl nicht bestätigt wurde; nicht einmal gehört.

"Nicht ganz so willig wie erwartet, wie ich sehe...", schloss er, ohne ein Zeichen der Enttäuschung. Sein Lächeln ließ nicht nach, als er über die Schulter auf Einheit 01 sah. "Es wäre sicherlich interessant die Rollen vertauscht zu sehen. Aber ich befürchte es gibt keine Möglichkeit, dass sie sich mir anschließt. Also wird es passieren, wie es vorherbestimmt ist."

Damit wandte sich der letzte Bote dem roten Giganten zu, seine Füße lösten sich vom Boden, als er seine wahre Macht entfaltete und mit donnernder Stimme direkt zum Herzen der vertrauten Bestie sprach.

"Also, Spross von Adam, lasse die Stimme der Lilim-Seele in dir verstummen und folge, wie es dir bestimmt ist!"

Und die Bestie erwachte.

***

"EVA-Einheit 02 wurde soeben aktiviert!", brüllte Hyuga über die Alarmsirenen hinweg, die bei der unautorisierten Aktivität in den Cages sofort losgeplärrt hatten.

"Was zum Teufel?" Die Situation hatte Misato, genauso wie den Rest der Brückenbesatzung, völlig überrascht. Wollten sie etwa selbst Jagd auf den Engel machen, ohne ihr vorher Bescheid zu geben? "Asuka?"

Sie betete, dass ihre Frage über den Piloten negativ beantwortet werden würde. Wenn sie einen "unschuldigen Jungen und Kameraden" jagen und töten würden, hätten sie ernsthafte Schwierigkeiten zu erwarten. Selbst wenn man nachher beweisen könnte, dass er ein Engel war, wie sollten sie erklären, dass sie es gewusst hatten?

Die Art und Weise auf die Maya ihren Kopf schüttelte, begrub jedoch sogleich alle Hoffnungen auf Erleichterung. "Kann ich nicht sagen; wir erhalten keine Signale vom Plug!"

'Kann sie nicht sagen?', grübelte der Major. 'Bedeutet das, dass das Fifth...?'

Sie bekam ihre Antwort eine Sekunde darauf. "AT-Feld im Central Dogma erkannt!"

"Einheit 02?", musste sie einfach fragen, obwohl sie bereits wusste, was sie als nächsten hören würde.

"Nein. Das Muster ist blau. Es ist ohne Zweifel ein Engel!"

***

Die Quelle des blauen Musters kam immer weiter voran und hatte den mächtigen Giganten dazu benutzt den Weg zum Hauptschacht freizulegen, der ihn zu seinem Ziel bringen würde. Tabris schwebte langsam auf seinem AT-Feld in den Abgrund, von den riesigen Händen von EVA-02 beschützt. Er hatte keinen Grund sich zu beeilen. Tatsächlich wartete er noch, hob seinen Kopf um zu sehen, wann sie endlich reagieren würden.

Dort oben, weit über ihm, konnte er endlich die so klein wirkende Einheit 01 sehen, wie sie in den Schacht hinabstieg.

Sein Lächeln weitete sich in Erleichterung. "Du bist spät, Shinji."

"Nein, er kommt genau richtig!"

Für einen Moment wurde das scheinbar ewige Lächeln durch einen Ausdruck der Überraschung ersetzt, als er plötzlich eine Präsenz spürte, die eigentlich nicht dort sein sollte. Doch es war bereits zu spät. Die Hände von EVA-02, die ihn bis jetzt schützend umgeben hatten, schlossen sich nun um ihn.

"Sehr beeindruckend, das muss ich zugeben. Dein Band zu ihr muss sehr stark sein, wenn sie in der Lage war dich vor mir zu verbergen. Ganz zu schweigen davon, dass du meines durchbrochen hast."

"Ich habe normalerweise nichts gegen Komplimente, aber du kannst dir deine sparen!", dröhnte die emotionale Stimme des Second Children. "Es sei denn das ist es, was du als letzte Worte sagen willst."

"Letzte Worte?", wiederholte er gelassen. "Nein, das wäre zu früh. Und ich möchte vorher noch mit ihm reden."

"Ich habe dich gewarnt! Ich werde nicht zulassen, dass du ihm das noch einmal antust!", schrie Asuka und er konnte fühlen, wie sich die riesigen Handflächen enger um ihn schlossen.

"Ich fürchte ich kann das noch nicht geschehen lassen. Wenn ich nicht so töricht gewesen wäre mich ablenken zu lassen, wärest du noch nicht einmal so weit gekommen."

"Tja, Pech für dich! Ich glaube kaum, dass du jetzt noch eine große Wahl hast!"

Er lächelte einfach nur, als er seine Augen schloss. "Er hat eine gute Wahl getroffen, wie ich sehe", sagte er sanft, mehr zu sich selbst murmelnd, als zu ihr. "Eine loyale Gefährtin, selbst wenn die Zeiten hart sind, obwohl es eine Verpflichtung ist, aus der nur wenig hervorgehen könnte und dabei so viel auf dem Spiel steht. Genau wie er selbst. Solche Bande sind die schwierigsten zu erschaffen und die schwierigsten zu durchtrennen. Und wenn zwei zerbrechliche Herzen es schaffen sich zu vereinen, werden sie nicht länger aus Glas sein, sondern aus Diamant."

"Wovon... wovon redest du?"

"Shinji wird jeden Moment hier sein. Und da du meine Pläne sehr effizient durchkreuzt hast, müssen wir die Dinge ein wenig beschleunigen. Leben Sie wohl, Frau Ikari."

"Hey! Wa...?"

Bevor sie ihre Frage zu Ende stellen konnte, verwandelte sie sich in einen markerschütternden Schrei, als ein AT-Feld zwischen den Händen und Armen des Evangelions erschien und sie in einem exakten Schnitt voneinander trennte.
Die nun schlaffen Finger entließen seinen Körper und fielen mitsamt den Händen in den tiefen Abgrund unter ihnen. Bevor das Second reagieren konnte, kehrte er die Kräfte um, mit denen er den Abstieg bisher verlangsamt hatte, um den Giganten nun zu beschleunigen und die verbleibebenden Hindernisse durchbrechen zu lassen, während er ihm folgte.

***

Shinji mochte überhaupt nicht, was er dort sah. Einheit 02 als einen Rammbock zu benutzend, schoss Kaworu geradezu nach unten und obwohl der erfahrene Pilot sich im freien Fall den Schacht hinabstürzte, war es unmöglich ihn rechtzeitig einzuholen. Trotz der Geschwindigkeit, mit der die Schwerkraft den EVA hinab zog, dauerte es mehrere quälend lange Sekunden, bis er auf allen vieren auf dem Boden der scheinbar endlosen Grube landete. Der schwere Einschlag erschütterte ihn bis auf die Knochen und er brauchte einen weiteren Moment, um sich in dieser bizarren Untergrundwelt neu zu orientieren, die die zerstörte Antarktis widerspiegelte, mit seinem rosigen Himmel und Stalagmiten aus Eis. Shinjis Augen fielen auf den roten EVA, der mit schlaff auf dem gefrorenen Boden lag.

"Asuka!", rief er, "geht es dir gut?!"

"Ja. Nu-nur eine harte... ein paar harte Landungen", kam die gestöhnte Antwort. "Verschwende keine Zeit, geh und schnapp ihn dir!"

Er nickte in das Komm-Fenster, seinen EVA herumschwenkend, als Asukas Stimme erneut erklang. "Und Shinji?"

"Hm?"

"Es tut mir leid."

Er antwortete nicht. Es gab keinen Grund dafür. Seine Augen schließend, nahm er einen tiefen Atemzug und rannte der kleinen, schwebenden Gestalt in der Ferne hinterher, die sich "Heavens Door" näherte. Doch so schnell er sich auch über den rutschigen Untergrund in seine Richtung vorkämpfte, er war zu langsam. Das Tor öffnete sich, enthüllte das gigantische weiße Wesen, das in der Mitte eines gewaltigen Sees aus LCL gekreuzigt war. Erst als der kleinere Engel bereits zu Lilith herauf schwebte, holte er ihn ein.

"KAWORU!"

"Ich habe auf diesen Moment gewartet. Und ich habe mich davor gefürchtet. Aber..." Der Engel drehte sich um, gab ihm ein schwaches Lächeln. "Ich bin froh dir endlich wieder zu begegnen, Shinji Ikari."

Damit schlossen sich die Hände von Einheit 01 um den grauhaarigen Jungen. Und er schloss erwartungsvoll die Augen.

***

Die Crew war in Schweigen verfallen, während sie darauf warteten, dass entweder die Lebenszeichen des Engels erloschen, oder Einheit 01 dasselbe Schicksal ereilte, wie das Deutsche Production Modell. Selbst ein Mann wie Gendo selbst, konnte eine gewisse Nervosität nicht verleugnen, auch wenn er mit der Fähigkeit gesegnet war, selbst in den stressigsten Situationen ruhig bleiben zu können. Der Engel war viel zu nahe dran.

Mit all ihrer Kraft und Gerissenheit, hatte es bisher noch keiner von ihnen geschafft "Heavens Doors" zu erreichen und dieser hier war einfach so durchmarschiert. Vielleicht hatte er den "Jungen" unterschätzt und die alten Männer, die ihn geschickt hatten.

Aber bevor es irgendjemand herausfinden konnte, begann die Erde zu beben, von einem gewaltigen Schock erschüttert; das holographische Display zeigte plötzlich nur noch statisches Rauschen.

"Das stärkste AT-Feld, das jemals gemessen wurde!", rief einer der Techniker.

"Licht, Magnetismus, subatomare Partikel! Nichts kommt mehr durch!", schrie ein anderer. "Wir können nichts dahinter erfassen!"

"Hat er damit gewartet, bis er Einheit 01 mit sich einschließen konnte?", sinnierte Fuyutsuki neben ihm, zu leise, als dass die Brückenbesatzung ihn hätte hören können.

"Wofür? Keiner von ihnen ist das, was er sucht;", erwiderte Gendo, das Implantat in seiner rechten Hand durch seine weißen Handschuhe spürend. "Es sei denn... er ist mehr am Piloten interessiert."

"Um gegen ihn zu kämpfen?", fragte der alte Professor. "Oder um ihm zu helfen?"

Gendo hatte keine Antwort für ihn. Und er bekam keine Zeit um eine zu finden.

"Ein zweites AT-Feld!"

"Ein zweites AT-Feld, das genauso stark ist wie das erste, hat das Terminal Dogma umschlossen!"

"Es dringt in das andere AT-Feld ein!"

"Unmöglich! Ein zweiter Engel?"

"Ich weiß es nicht! Ich kann es nicht bestätigen – es... es ist soeben verschwunden!"

"Verschwunden? Der Engel?!"

Nun erlaubte sich Gendo ein erleichtertes Grinsen hinter seinen verschränkten Händen. Anders als seine aufgeregten Untergebenen, hatte er eine sehr gute Vorstellung davon, wer der "andere Engel" war. Und es war mit Sicherheit keiner, den er fürchten müsste, eher das Gegenteil.

Fuyutsuki war scheinbar zu demselben Schluss gekommen. "Es ist sie, nicht wahr?"

"Ja. Unser Sieg ist so gut wie sicher."

Es war fast schon surreal. Das letzte Hindernis in seinem Plan stand kurz davor aus dem Weg geräumt zu werden. Nach all den Jahren, war der Tag, an dem seine Hoffnungen wahr werden würden nun endlich nahe.

"Lassen sie Sektion 2 für den besprochenen Auftrag in Bereitschaft gehen", überraschte er den Sub-Commander.

"Ikari!", warnte Fuyutsuki. "Glaubst du nicht, dass das töricht wäre? Es wäre zu früh, wenn SEELE aktiv wird."

"Es ist egal wie schnell sie handeln. Sobald der siebzehnte Engel tot ist, kann ich schneller handeln. Ich werde sie nicht länger brauchen."

"Warum sich also die Mühe machen?"

"Weil ich es mir nicht leisten kann, dass mir jetzt noch jemand in den Rücken fällt."

"Ist es nicht eher", sprach der alte Mann wissend, "dass du einfach nur neugierig bist?"

***

"Ich kann nicht..."

Shinji wollte es ohne zu zögern fertig bringen, ihn ohne weiter darüber nachzudenken töten, um es einfach hinter sich zu haben. Er würde sich danach auf jeden Fall hassen, aber er hätte es vermieden diese langen, quälenden Momente erneut zu durchleben, in denen er dazu gezwungen wurde eine solch grausame Entscheidung zu treffen. Aber in dem Moment, in dem er die riesige Faust um den Körper des Engels geschlossen hatte, hatte sein Herz seinen Willen überrumpelt. "Ich kann es einfach nicht tun, Kaworu..."

"Wie ich dir bereits einmal gesagt habe, es spielt für mich keine Rolle, ob ich jetzt und hier sterbe. Leben und Tod sind für mich so unbedeutend, wie Raum und Zeit..."

"Zeit...?", wiederholte Shinji leise. '"Dir endlich wieder zu begegnen..." "Wie ich dir bereits einmal gesagt habe..."' Sein Verstand hatte die Worte registriert, aber erst jetzt hatte er sich weit genug beruhigt, dass er in der Lage war ihren Sinn zu verstehen. "D-du? Du steckst dahinter, nicht wahr? Du hast uns zurück geschickt!"

"Ich kann das weder abstreiten noch bestätigen. Aber ich kann dir sagen, dass ihr beobachtet wurdet, eure Sorgen und Ängste und ihr wurdet bemitleidet. Als die Zeit kam, dass ihr euren Wunsch äußertet, wurde er euch gewährt..."

"Wunsch?", fragte Shinji ungläubig. "Du sagst ich habe mir das hier gewünscht? Du sagst, dass ich mein – mein Kind zurücklassen wollte?"

"In der Tat hast du das – und doch hast du es nicht. Erinnerst du dich nicht an den Tag, bevor ihr in diese Zeit zurückgekehrt seid?"

"Was...?", murmelte er, sich problemlos an das letzte Mal erinnernd, an dem er sein kleines Mädchen gesehen hatte.

////

Asuka stand im Türrahmen zu Akis Zimmer, wie er sie schon zahllose Male vorgefunden hatte. Sie leise von hinten umarmend, legte er sein Kinn auf ihre Schulter, ihrem Blick zu der schlafenden Gestalt ihrer Tochter folgend.

"Sollten wir ihr nicht ihren Schlafanzug anziehen?", flüsterte er grinsend, auf den Anblick hin, wie Aki halb unter der Decke lag, ihr linker Fuß sich freitretend, noch immer in Hose und T-Shirt gekleidet.

Doch Asuka schüttelte den Kopf. "Sie ist so auf der Veranda eingeschlafen. Ich bin froh, dass ich sie ins Bett bekommen habe, ohne sie aufzuwecken. Ich wollte es nicht riskieren."

Bei jeder anderen Gelegenheit hätte er gelacht. Immerhin wusste er, wie sein kleiner Strolch war, wenn sie gezwungen wurde wieder aufzuwachen. Entweder würde sie schlechte Laune bekommen, oder so lebhaft werden, dass es Stunden dauern würde, bis sie wieder schlief.

Aber Asukas sorgenvoller Gesichtsausdruck und ihre emotionslose Stimme verhinderte diese natürliche Reaktion. "Was ist los?", fragte er sanft.

"Was meinst du?", fragte sie unschuldig. Unschuldig genug, dass es offensichtlich war, dass sie die Wahrheit verleugnete.

"Irgendetwas scheint dich in letzter Zeit zu beschäftigen", drückte er weiter seine Besorgnis aus. "Du hast sie schon oft so angesehen."

"'So angesehen'?", widersprach Asuka. "Ich habe mein Kind immer angesehen."

"Nein, nicht so zumindest. Wenn sie bei dir ist, benimmst du dich wie immer, sodass es ihr nicht auffällt, aber sobald sie sich umdreht scheinst du dir über irgendetwas Sorgen zu machen."

Ihr Körper sackte ein wenig zusammen als sie seufzte, endlich nachgebend. "Es ist nur... seit unserem letzten Ausflug... seit sie immer wieder fragt... habe ich mich immer wieder gewundert, wie einsam sie eigentlich ist, ohne es zu wissen..."

Shinji wünschte sich beinahe er hätte nicht gefragt. "Naja... I-ich glaube wir können nicht viel mehr tun, als für sie da zu sein, so viel wir können."

"Ja, aber... ist das Leben mit nur uns beiden die schlimmste Art aufzuwachsen, oder wird sie die Interaktion mit anderen niemals vermissen, wenn sie nicht einmal weiß, was sie vermisst?" Sie schüttelte den Kopf. "In letzter Zeit frage ich mich immer wieder, wie ihr Leben wohl wäre, wenn wir nicht die einzigen Menschen auf dem Planeten wären. Sie ist jetzt fast vier. Sie würde bald in den Kindergarten kommen, andere Leute treffen... Freundschaften schließen..."

Er fühlte sein Herz brechen, als er ihren Gesichtsausdruck sah. Nicht nur weil diese Gedanken ihr offensichtlich Kummer bereiteten, sonder auch weil er spürte, dass sie Recht hatte. Er hatte selbst angefangen sich darüber Gedanken zu machen, seit Aki nach anderen Leuten fragte. Nach Freunden. Sie konnten als Eltern ihr Bestes geben, aber war das auch genug um sie glücklich zu machen?

"Um ehrlich zu sein wünschte ich... wünschte ich, dass ich etwas tun könnte, um ihr ein normales Leben zu bieten. Ein Leben, in dem sie aufwachsen könnte, wie ein normales Mädchen."

"Ja...", murmelte Shinji, hinüber sehend zu dem schlafenden, ahnungslosen Kind, "Ich auch..."

///

"Das ist es?!", schrie Shinji. "Wegen einem dummen Wunsch? Du hast uns Aki weggenommen, weil wir ihr ein besseres Leben gewünscht haben?"

"Es tut mir aufrichtig leid. Aber du stimmst mir sicherlich zu, dass es kontraproduktiv für eure Ziele gewesen wäre, sie mit euch in diese Zeit zu bringen."

"W-was? Aber das macht doch keinen Sinn!"

"Tut es nicht?", wunderte sich Kaworu, sichtlich verwirrt von dieser Schlussfolgerung. "Du wolltest die Möglichkeit eine bessere Zukunft für deinen Nachkommen zu erschaffen. Um dir diese Chance zu geben, wurdest zu einem Zeitpunkt zurückgebracht, von dem aus du in der Lage sein würdest dieses Ziel zu erreichen."

"Aber wir haben es nicht erreicht! Wir haben nichts verändert! Touji wurde trotzdem verletzt. Asuka wurde trotzdem gefoltert. Rei ist trotzdem gestorben. Und nun soll ich dich noch einmal umbringen!" Shinji schluckte ein wütendes Schluchzen herunter. "Und nichts davon könnte meine Tochter zurückbringen!"

"Aber die Verletzungen deines Freundes waren nicht so ernst, wie sie es hätten sein können. Deine Gattin verschloss nicht ihr Herz vor allen, sich selbst eingeschlossen. Und obwohl sich Ayanamis Körper verändert hat, haben es ihre Seele und ihre Gefühle nicht, weil sich ihre Freunde nicht von ihr abgewandt haben." Kaworu schloss seine Augen für einen Moment, nachdem er seine Argumentation beendet hatte, sein Lächeln ließ ein wenig nach. "Ich kann den Schmerz verstehen, den der Verlust deines Kindes ausgelöst hat und es tut mir leid. Ich kann den Hass verstehen, den du jetzt für mich empfinden musst und kann es dir nicht verübeln. Vielleicht wird er dir bei dieser Entscheidung behilflich sein. Obwohl ich mir wünschen würde, dass wir uns nicht unter diesen Umständen verabschieden. Vertrau mir Shinji. Du wirst dein Glück eines Tages wiederfinden, solange du diesem Pfad weiter folgst."

"Aber es wird niemals wieder sie sein!", wies Shinji seine Worte ungläubig zurück. Er verstand, dass, für jemanden wie Kaworu, sein Glück davon kam überhaupt eine Familie zu haben. Aber es war noch so viel mehr dabei. "Wie kannst du erwarten, dass ich ohne sie jemals wieder glücklich werden kann?"

"Hab keine Angst. Du bist nicht allein", versicherte der Engel ihm jedoch erneut. "Und nun zögere nicht länger. Ich mag der Engel des freien Willens sein, aber das ist mein Angebot und nicht meine Macht. Meine Entscheidungsfreiheit ist begrenzt, so wie die meiner Geschwister und kann dem Ruf nicht wiederstehen. Meine wirkliche Freiheit kannst nur du mir gewähren, mein Freund."

"Aber..." Die Worte blieben ins Shinjis Halse stecken. Er konnte sein Zittern nicht unterdrücken, das durch die Vertrautheit dieser Situation ausgelöst wurde. "Ich... ich möchte das nicht noch mal tun. Kannst ihn nicht ignorieren? Diesen Ruf? Ich... wir... wir könnten deine Hilfe gebrauchen! Kaworu, bitte..."

Aber der Engel sprach weiter mit seiner beruhigenden Stimme. "Du brauchst mich nicht, um dein Ziel zu erreichen", entkräftete er Shinjis versuch ihn vom Gegenteil zu überzeugen. "Du hast bereits mehr Verbündete als du glaubst."

***

Rei erwiderte den Blick des Jungen, den Einheit 01 fest in der Faust hielt. Von ihrer Position aus konnte sie die Worte nicht hören, die gesprochen wurden, doch sie konnte das zufriedene Lächeln sehen, das er ihr Schenkte. Sicherlich wusste er, dass sie es gewesen war, die sein AT-Feld aufgelöst hatte und ihn verwundbar gemacht hatte. Er hatte gewusst, dass sie ihm nicht erlauben konnte erfolgreich zu sein. Er hatte gewusst...

War das der Grund... aus dem er lächelte...?

***

"Es ist vorherbestimmt, dass dies geschieht. Ob auf die eine, oder die andere Weise. Und Shinji, du bist so weit gekommen, von dem schüchternen Jungen, den ich einst kannte. Du hast den Grund für deine Existenz gefunden. Das solltest du nicht für mich aufgeben." Kaworu drängte ihn erneut. "Möchtest du sie nicht alle wiedersehen?"

"Was meinst...?" Doch Shinji verstummte. Er wusste, was er damit meinte. Wenn er jetzt nicht handelte, müsste Kaworu sich mit Lilith vereinen und den Third Impact auslösen. Und dieses Mal würde es keine Hoffnung für sie geben zu überleben. Er würde niemals wieder irgendwen sehen...

"Ich sehe... du verstehst noch nicht..." Der Engel lächelte. "Aber das ist jetzt egal. Du wirst letztendlich verstehen. Eine unerwartete Freude ist sogar noch größer als eine die man bereits erwartet hat", sinnierte Kaworu und für Shinji wirkte es, als würden seine roten Augen direkt durch ihn hindurchsehen, als wäre dort kein Evangelion zwischen ihnen. "Also Shinji, fälle deine Entscheidung. Bleib am Leben. Beschütze auch weiterhin die, die du liebst."

Shinjis Kopf senkte sich. Er wollte protestieren, argumentieren, dass er unmöglich beide Wünsche erfüllen könnte, wenn er dies nun tun müsste.

Aber am Ende musste er zugeben, dass Kaworu recht hatte.

"Es tut mir leid..."

"Das muss es nicht..."

Shinji schloss seine Augen. Nur ein leichter Ruck an den Kontrollen. Und ohne dass er hinsehen musste, wusste er dass es vorbei war.

Der siebzehnte Engel war tot.


*********


Asuka fluchte zu sich selbst, auf und ab laufend, während der Aufzug nach oben schoss. Sie hatte wieder einmal versagt diese grausame Bürde von Shinjis Schultern zu nehmen und war nicht einmal in der Lage gewesen ihn zu unterstützen. Gar nicht davon zu reden, dass sie es wieder einmal nicht geschafft hatte einen Engel zu erledigen.

Sie konnte nur hoffen, dass ihr EVA schnell repariert werden würde. Da gab es nur all zu bald eine bestimmte Rechnung zu begleichen und ihre Einheit 02 musste dafür in Topform sein. Der Kampf würde auch so schon hart genug werden – und sie würde auf keinen Fall verlieren. Nicht schon wieder.

Die Aufzugtüren öffneten sich endlich und Asuka wollte sogleich aussteigen – blieb aber überrascht wieder stehen, als sie ihren Weg versperrt vorfand.

"Pilot Soryu?"


*********


Der Entry-Plug war bereits ausgeworfen worden, aber Shinji machte keine Anstalten sich aus dem Sitz zu erheben. Irgendwie konnte er sich einfach nicht bewegen. Er konnte sich kaum daran erinnern, wie er den EVA aus dem Terminal Dogma bewegt hatte.

All die anderen Engel – sie waren riesige Monster gewesen, hatten alles und jeden auf ihrem Weg zerstört. Sie waren deplatziert, so surreal, dass es einfach war, sie nicht als Lebewesen zu betrachten. So war es einfacher sie zu töten, ohne sich schuldig zu fühlen.

Aber Kaworu war anders. Er war so... menschlich.

Es war töricht zu denken, dass das zweite Mal leichter sein würde.

Er atmete aus, versuchte den Großteil seines Schmerzes zusammen mit der Luft herauszupressen, bevor er endlich die Kraft fand aus dem Plug zu klettern; sein Körper arbeitete quälend langsam. Als er gerade gehen wollte, stieß er sofort mit einem von fünf stämmigen Männern zusammen, die zu Sektion 2 gehörten. Benommen sah er von einem der eiskalten, mit Sonnenbrillen verdeckten Gesichter, zum anderen.

Shinji machte einen zaghaften Schritt zurück. Er hatte ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Es war nicht nur völlig anders als er sich erinnerte, es war eher ziemlich zweifelhaft, dass sie hier waren um ihm zu gratulieren.

"Pilot Ikari", bellte der Mann, den er beinahe umgerannt hatte, seine Hand in einem eisernen Griff um Shinjis Schulter schließend. "Auf Befehl des Commanders stehst du hiermit unter Arrest, für Verschwörung und Verrat gegen NERV."



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